Scorpion
Ab und an probiere ich einmal - auf Amazon Video oder Netflix - auf gut Glück eine neue Serie aus; man weiß ja vorher nie so genau, was kommt. So bin ich auch auf Scorpion gestoßen:
Scorpion is a high-octane drama about eccentric genius Walter O’Brien and his team of brilliant misfits who are the last line of defense against complex, high-tech threats of the modern age.
Der Hintergrund ist schnell umrissen: vier hochbegabte Genies mit - natürlich - großen Schwierigkeiten im sozialen Umgang arbeiten für die Homeland Security und retten die Welt.
So klischeehaft das schon klingt, man könnte daraus zumindest gute Unterhaltung machen; ich erinnere mich zum Beispiel gerne an Numbers mit dem Mathegenie, das mit seinem beim FBI tätigen Bruder kniffelige Fälle löst, oder die verschiedenen modernen Sherlock-Holmes-Adaptionen. Das ist bei Scorpion allerdings nun gar nicht gelungen; allenfalls könnte die Serie als Comedy durchgehen, wenn sie sich nicht leider ernst nehmen würde. So folgt man vier überragenden Genies, die -natürlich - in jedes soziale Fettnäpfchen treten, ansonsten aber - warum auch immer - die unwahrscheinlichsten Dinge schaffen, sich andererseits aber - durchaus in ihrem ureigensten Gebiet - regelmäßig überraschend dumm verhalten. Überhaupt scheint mir, dass die Helden nach dem Drehbuch weniger mit einer besonderen Auffassungsgabe, als vielmehr mit einem enzyklopädischen Wissen glänzen - nicht unbedingt das, was man mit dem IQ misst.
So haben wir den genialen Mathematiker bzw. Statistiker, der mit wichtigem Gesicht Dinge an Tafeln malt und dann ernst mitteilt, dass die Wahrscheinlichkeit für das Gelingen des komplexen Plans exakt 12,735% beträgt. Wir haben einen weiblichen MacGyver, einen Mentalist für Arme und natürlich die Titelfigur, den fiktiven Walter O’Brien. Die Sache wird nicht unbedingt besser, wenn man weiß, dass es Walter O’Brien tatsächlich gibt, der sich im Wesentlichen einer Lebensgeschichte rühmt, die dem Background des Serienhelden entspricht, so aber offenkundig nicht wahr sein kann, und zugleich CEO der Firma Scorpion Computer Services (eine sicherlich rein zufällige Namensähnlichkeit) und Produzent der Serie ist.
Deren einzelne Folgen leiden dann konstant unter unmöglichen, in sich unschlüssigen Plots mit riesigen Löchern, die bei allem suspension of disbelief meist nur noch zum Lachen reizen. Ich will nur ein Beispiel dafür geben:
In der ersten Folge geht es um einen Softwarefehler, der sich beim automatischen Update der Software des Towers des Los Angeles International Airport eingeschlichen hat und dazu führt, dass keine Funkverbindung mit den anfliegenden Flugzeugen mehr möglich ist. Die meisten Flugzeuge wurden umgeleitet, aber 56 waren schon im Landeanflug und sind daher nicht mehr per Funk erreichbar. Wird der Fehler nicht behoben, stürzen sie in weniger als zwei Stunden aufgrund von Treibstoffmangel ab. (Man darf sich dabei nicht fragen, warum die Flugzeuge nicht von anderswo über Funk erreichbar sind, oder warum noch so viel Zeit bis zum ersten drohenden Absturz ist - das erfordert natürlich der Plot.) Unsere Helden eilen also zur Rettung, kommen aber wegen Stau nicht durch - da fällt ihnen ein, dass sich das Problem von jedem Ort aus lösen lässt, der ein stabiles, gegen Störungen gefeites WLAN hat. Was läge also näher, als zu dem Diner zu fahren, in dem O’Brien zu Beginn der Folge das WLAN eingerichtet hat? Immerhin arbeitet da Paige, die Kellnerin, deren sich seltsam verhaltender Sohn schnell als hochbegabt diagnostiziert wurde und die in den späteren Folgen der Kontakt der Genies zu den normalen Menschen sein wird - quasi ihre Übersetzerin.
Dort angekommen, geht es an die Problemlösung - das letzte Backup der Tower-Software muss her. Die Zeit drängt, denn demnächst wird es von dem nächsten Backup mit der defekten Version überschrieben. An das Backup kommt man allerdings nur, wenn man es vor Ort im Ausweichrechenzentrum abholt; offenbar kann man das Backup automatisch schreiben, aber nicht auf diesem Weg auch lesen. Das Ausweich-RZ ist natürlich verschlossen; aber wenn man für einen Stromausfall sorgt, gehen alle Tore auf (das ist immer so). Für den Stromausfall muss man einen Verteilerkasten mit einer genau berechneten Leistung von 500.000 Kilowatt überlasten - anders geht es nicht. Und natürlich befinden sich im Rechenzentrum ungezählt viele Festplatten, und es gibt niemand, den man fragen könnte - hätte man nicht aus einem dort befindlichen Familienfoto des Verantwortlichen abgeleitet, dass sich die richtige Festplatte hinten auf der linken Seite in mittlerer Höhe befinden muss. Leider transportiert eines der Genies die Festplatte aber im Seitentürfach des Fahrzeugs genau neben dessen Lautsprecher, der daher alles gelöscht hat, weil er ja magnetisch ist. Nun ist guter Rat teuer.
Da fällt unseren Intelligenzbestien ein, dass sich natürlich auf jedem Flugzeug ein komplettes Duplikat der Tower-Software befindet - sonst könnten sie ja nicht mit dem Tower funken, nicht wahr? Die Flugzeuge, die vor dem fehlerhaften Update gestartet sind, haben also eine unbeschädigte Kopie der Tower-Software an Bord. (Offenbar ist die Tower-Software sowohl so einmalig, dass man sie nicht einfach von einem anderen Tower überspielen kann, als auch so generisch, dass jedes Flugzeug eine komplette Kopie an Bord hat.) Nun ist die Lösung einfach: man lässt einfach einen Jet im Tiefstflug über eine Landebahn fliegen, O’Brien knackt einen Ferrari und fährt mit angepasster Geschwindigkeit unter dem Flugzeug her, die Kellnerin hält auf dem Beifahrersitz seinen Laptop hoch, und der Copilot klettert mit einem Netzwerkkabel am Fahrwerk herunter. Einstöpseln, überspielen, gerade noch rechtzeitig die Verbindung wieder trennen, das Flugzeug hochziehen - es reißt mit einer Tragfläche ein bisschen Tower ab, aber was macht das schon? - und das Auto Zentimeter vor der Mauer am Ende der Landebahn abbremsen: easy-peasy. Alles paletti.
Und so geht es weiter: Ein Junge ist am Strand in einer eingestürzten Höhle eingeklemmt, und das Wasser steigt. Aufgrund seiner Brust- und Lungenverletzungen kann man ihm keine Taucherausrüstung zukommen lassen; also baut der eine Teil des Teams eine Hebevorrichtung, die den Felsbrocken nicht weniger als 4,6 cm und nicht mehr als 5,9 cm anhebt (das hat das Mathegenie anhand eines Fotos des eingeklemmten Beins ausgerechnet), während der andere Teil schnell ein ECMO-Gerät besorgt (eine Art Herz-Lungen-Maschine). Das Wasser steigt schließlich, und deshalb huscht O’Brien mal schnell durch den Rettungstunnel in die Höhle, kanüliert unter Wasser zwei große Blutgefäße des Kindes (Sterilität ist optional) und schließt über zwei 15 Meter lange Schlauchsysteme die ECMO in der Höhle darüber an (scheint mir eine Menge Totraum zu sein, aber nun gut). Nun hält das Kind einfach die Luft an, sobald es unter Wasser gerät, und die ECMO macht den Rest. Zwischendurch fällt leider ein Felsen auf die Schlauchsysteme, so dass es noch einmal spannend wird - das Kind wird gerettet, doch es hat weder Puls noch Atmung! Ein paar Mal drücken, ein paar Mal mit Beutel und Maske kräftig beatmen (war da nicht was mit einer Rippen-/Lungenverletzung, die keinen Überdruck verträgt?), und schon hustet es ein paar Mal kräftig, und der Junge lebt wieder.
Und weiter: Vor Jahren hat jemand den “Football”, den Koffer mit dem Kommunikationssystem des Präsidenten für den atomaren Ernstfall, entwendet. Und jetzt probiert er die Abschusscodes durch, um einen Atomkrieg auszulösen - verhindern lässt sich das nur, wenn man den Koffer wiederfindet.
Und weiter … Jede Folge ist alberner als die letzte.
Das einzige, was mich wundert: es gibt davon vier Staffeln?!?
[Dieser Eintrag wurde nachträglich im August 2018 veröffentlicht.]
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