Verantwortlichkeit und Auskunftspflichten des Providers
Das Heise-Foren-Urteil fand in der Onlinewelt und den dort verbreiteten Medien ein umfangreiches Echo, das wohl nicht nur der Tatsache geschuldet ist, daß die Beklagte ein einflußreiches Presseunternehmen mit auflage- und verbreitungsstarken Publikationen
war bzw. ist.
Umso überrachender, daß eine vergleichbare, aber durchaus noch weitergehende Entscheidung des Landgerichts Berlin gegen einen großen deutschen Online-Anbieter bis jetzt nach meiner Beobachtung noch keine vergleichbare Erwähnung fand. An der fehlenden Rechtskraft kann es wohl kaum liegen.
Die Rede ist vom Urteil des Landgerichts Berlin vom 10.11.2005 - 27 O 616/05 - in der Sache der Frau E. gegen die A. AG & Co. KG, von dem ich die erbetene Abschrift inzwischen erhalten habe (wohingegen das LG Hamburg bisher noch nichts von sich hören ließ).
Dem Rechtstreit lag zugrunde, daß die Beklagte ihren Nutzern (kostenlosen) Webspace zur Verfügung stellt, für den diese sich online anmelden können, ohne daß diese Anmeldungen verifiziert (oder vermutlich auch nur auf Plausibilität überprüft) würden. Unter verschiedenen Accounts wurden dort u.a. gefälschte Nacktbilder der Klägerin, einer "bekannten Schauspielerin und Moderatorin", veröffentlicht, wobei es den Seiten an einem Impressum fehlte. Die Beklagte sperrte die entsprechenden Angebote jeweils nach Bekanntwerden aufgrund Abmahnung zusammen mit dem jeweiligen Account; weitere Maßnahmen ergriff sie nicht, insbesondere gab sie keine auf die Zukunft bezogene Unterlassungserklärung ab und weigerte sich auch, vorhandene personenbezogene Daten über die jeweiligen Nutzer - lebensnah immer der- oder dieselbe(n) - an die Klägerin herauszugeben. Mit der Klage verfolgte die Klägerin nunmehr einen auf die Zukunft gerichteten, unter Androhung von Ordnungsgeld oder -haft stehenden Unterlassungsanspruch und Auskunftsansprüche über die jeweiligen Nutzer.
Das Landgericht war der Ansicht, der Klägerin stehe der geltend gemacht Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 2 analog, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB ivM Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG zu, weil die Bildnisse die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen. Sie sei zwar nicht selbst Verletzerin, aber Störerin, und habe die ihr obliegende Prüfungspflichten verletzt. Dabei erkennt das LG richtig, daß dies noch nicht für die zuerst veröffentlichte Webseite galt; denn eine Pflicht zur Vorabprüfung besteht gerade nicht. Jedoch konstatiert das Landgericht unter Verweis auf die Entscheidung des BGH vom 11.03.2004 (NJW 2004, 3102) eine Verpflichtung des Providers, nach Hinweis auf eine Rechtsverletzung im Rahmen des Zumutbaren Sorge dafür zu treffen, daß es möglichst nicht zu weiteren gleich gelagerten Verletzungen kommt; es reiche nicht aus, sich auf eine Sperrung der betroffenen Seite zu beschränken. Vielmehr sei in Zukunft unter Verwendung geeigneter Software nach Schlüsselbegriffen und bestimmten Merkmalen zu filtern, um eine Wiederholung zu vermeiden. Insoweit ist die Entscheidung wohl mit dem Urteil im Heise-Foren-Rechtsstreit vergleichbar.
Das Landgericht Berlin geht jedoch noch weiter und gesteht der Klägerin einen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zu, weil "die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen". Als Rechtsbeziehung sieht das LG hier eine durch Störerhaftung der Beklagten vermittelte Sonderverbindung. Weder der Schutz des Fernmeldegeheimnisses noch Datenschutzvorschriften stünden entgegen. § 5 TDDSG verbiete eine Auskunft nicht, weil u.a. auch § 3 Abs. 2 TDDSG auch eine andere Rechtsvorschrift - hier also § 242 BGB - als Grundlage für die Verarbeitung und Nutzung der Daten erlaubt. § 88 TKG werde durch das TDDSG verdrängt.
Die Auskunft habe dabei - da es sich bei dem Auskunftsanspruch um einen solchen aus Treu und Glauben handelt - "unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" zu erfolgen. Diesen sieht das Gericht angesichts der schwerwiegenden Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin gewahrt.
Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig; die Sache ist nunmehr in der Berufungsinstanz unter dem Az. 10 U 262/05 beim Kammergericht anhängig.
Nachtrag: Die Entscheidung ist mittlerweile in ZUM 2006, 430 und CR 2006, 418 veröffentlicht; eine zustimmenden Anmerkung von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf findet sich in jurisPR-ITR 2/2006 Anm. 3.
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