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Die Qual der Wahl

Zur Wahl zu gehen - ganz gleich ob für den Stadtrat, den Landtag oder den Bundestag - halte ich für eine demokratische Pflicht, die wir denjenigen schulden, die unsere freiheitliche Demokratie - oft blutig - erkämpft haben. Daher war die Wahlteilnahme für mich immer selbstverständlich, und meist fiel mir die Wahl auch leicht. Dieses Jahr nicht …

Dennoch sind wir am vergangenen Sonntag natürlich zur Wahl gegangen, und anders als in manchem failed state war das auch weitgehend unproblematisch: keine Schlangen, kein stundenlanges Anstehen, und es gab sogar Stimmzettel! Spaß beiseite; ich habe mich sehr gefreut, diese Wahl wieder als sonntäglichen Ausflug begehen zu können und nicht (pandemiebedingt) Briefwählen zu müssen (bzw. vorsichtshalber zu wollen). Das ganze Drumherum im Wahllokal gehört für mich zu einer ordentlichen Wahl irgendwie dazu. (Und auch wenn man sich zuhause auf dem Wohnzimmertisch eine Wahlkabine nachbaut und den Briefwahlumschlag dann in eine Behelfsurne wirft … es ist einfach nicht dasselbe :-)).

Wir sind dieses Jahr daher sicherheitshalber zweigleisig gefahren und haben für den Fall der Fälle Briefwahl beantragt, uns dann aber entschieden, stattdessen mit dem Wahlschein wählen zu gehen. Das ist ja auch möglich, und zwar sogar in jedem Wahlraum des jeweiligen Wahlbezirks; man muss nur eben den Wahlschein mitbringen, denn da bei dessen Erteilung der Sperrvermerk “w” im Wählerverzeichnis angebracht wird, kann man ohne den Schein nicht mehr wählen. Der Einfachheit halber haben wir unser reguläres Wahllokal aufgesucht. Dort musste wirkte man zunächst etwas gefordert von unserem Ansinnen, kam aber dann doch ganz gut damit zurecht - und wir waren auch nicht die einzigen, denn hinter uns standen schon die nächsten mit ihrem Wahlschein. :-) Warum übrigens bei der Wahl mit Wahlschein die Personalausweise kontrolliert werden, bei der Wahl mit Wahlbenachrichtigung aber nicht, erschließt sich mir nicht ohne weiteres - wie man einen Wahlschein weitergeben kann, so kann man auch eine Wahlbenachrichtigung weitergeben, und wenn der per Post zugesandte Wahlschein verlorengeht, dann kann die ebenfalls per Post versandte Benachrichtigung ebenfalls verlorengehen. Und ich habe bei der “normalen” Wahl noch niemals einen Ausweis vorzeigen müssen, ganz egal, ob die Wahlhelfer mich persönlich kennen konnten oder nicht.

So bequem übrigens die Briefwahl erscheint - dieser Nachsatz sei mir erlaubt -, sie birgt doch eine ganze Menge Risiken für die freie, gleiche und geheime Wahl. Denn im Gegensatz zur Präsenzwahl, bei der aus gutem Grund auch Ehepartner (und Kinder) nicht mit in die Wahlkabine dürfen, kann bei der Briefwahl niemand kontrollieren, ob die Stimme wirklich frei abgegeben wurde oder nicht doch ein Mitbewohner oder Familienmitglied die Wahlentscheidung ausgespäht oder beeinflusst hat, sei es durch Drohung mit schlechter Laune oder gar mit körperlicher Gewalt. Gegenüber der Präsenzwahl bietet die Briefwahl vergleichsweise umfangreiche Beeinflussungs- und Manipulationsmöglichkeiten. Ich finde es daher recht bedenklich, dass sie sich zunehmend von einer Notlösung der am Wahltag Verhinderten zu einem regulären Abstimmungsmodus entwickelt, der zudem noch beworben wird. Denn auch dort lauern potentielle Gefahren für unsere Demokratie - nicht nur bei mehr oder weniger sicheren elektronischen Wahlcomputern.

Am wichtigsten aber ist: Wählen gehen! Jedesmal! Auch wenn die Wahl schwer fällt …

Titelbild © kozhur - stock.adobe.com

[Nachträglich veröffentlicht im November 2021.]

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