Die Grenzen richterlicher Rechtsentwicklung
Als "Verkehrsrichter" hat man es nicht leicht, weder in Straf- noch in Bußgeldsachen. Auf der einen Seite soll man die Sünder strafen, auf daß sie sich bessern und im Verkehr nicht wie die Axt im Walde aufführen und neben ihrem eigenen auch Leib und Leben ihrer Mitmenschen gefährden; auf der anderen Seite scheint das "Heilig’s Blechle" und damit auch die Erlaubnis, ein solches zu lenken, oft der Deutschen liebstes Kind, und es hängen nicht nur bei Berufskraftfahrern oft Arbeit und Lebensgestaltung am Führerschein. So haben sich verschiedene Möglichkeiten entwickelt, insbesondere dem Fahrverbot in Bußgeldsachen noch einmal zu entkommen, unter Ausnutzung der Unverbindlichkeit des Verwarnungs- und Bußgeldkatalogs, der nur Behörden binden kann, aber nicht die unabhängigen Gerichte, für die er allenfalls Richtliniencharakter hat. Verbreitet ist bspw. die Erhöhung - Verdoppelung - der Geldbuße, um dafür dann vom Fahrverbot abzusehen (§ 4 Abs. 4 BKatV). Ob eine solche Vorgehensweise vom Zweck der Norm her - Strafe und Prävention - sinnvoll ist, sei dahingestellt.
Das OLG Hamm - 2 Ss OWi 803/08 - hatte im vergangenen November einen Fall zu entscheiden, bei dem der erstinstanzlich erkennende Amtsrichter aus Recklinghausen noch kreativer wurde:
"Die Grenzen richterlicher Rechtsentwicklung" vollständig lesen"Der Betroffene ist bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getreten, insoweit wird auf die Auskunft des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 14.04.2008 verwiesen.
Am 18.07.2007 erließ der Landrat des Kreises S einen Bußgeldbescheid gegen den Betroffenen.
Dem Betroffenen wurde zur Last gelegt, am 09.06.2007 gegen 14.51 Uhr in S die B-Allee mit dem Pkw […] Fabrikat VW befahren zu haben und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 23 km/h überschritten zu haben, § 3 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG. Gegen den Betroffenen wurde ein Bußgeld in Höhe von 50,- Euro festgesetzt sowie 1 Punkt.
Der Betroffene wandte sich nicht gegen das Messergebnis.
Das Gericht verdoppelte die Geldbuße auf einen Betrag in Höhe von 100,- Euro und ließ den Punkt, der ansonsten beim Kraftfahrt-Bundesamt einzutragen gewesen wäre entfallen.
Das Gericht hat dabei die Grundsätze der Festsetzung einer Geldbuße in Verbindung mit einem Fahrverbot (Bußgeldkatalog-Verordnung-BKatV) in analoger Anwendung zu Grunde gelegt.
Bezüglich der Festsetzung von Punkten besteht nach Ansicht des Gerichts insofern eine planwidrige Regelungslücke, die im Gesetz keine Stütze findet.
Es liegt jedoch eine vergleichbare Interessenlage vor, die zu Gunsten des Betroffenen gegeben ist.
Das Gericht hat daher die Geldbuße verdoppelt und den Punkt entfallen lassen. Dabei hat das Gericht auch berücksichtigt, dass der Betroffene bislang keine Eintragungen beim Kraftfahrt-Bundesamt hat und in der Tat oder der Persönlichkeit des Betroffenen keine Umstände hervorgetreten sind, die darauf schließen lassen, dass gerade bei diesem Betroffenen eine Besinnung auf seine Pflichten als Kraftfahrzeugführer durch eine Geldbuße nicht zu erwarten ist."