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Beweisverwertungsverbote I: "Vernehmung" durch Verdeckten Ermittler

"Verdeckte Ermittler" (VE) spielen im Straf- und Ermittlungsverfahren eine wichtige Rolle insbesondere bei der Bekämpfung Organisierter Kriminalität. Ihr Einsatz ist jedoch in vielerlei Hinsicht nicht unproblematisch: (potentiell lebens)gefährlich für den VE selbst, schwierig im Umgang unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und der Unmittelbarkeit der Beweisführung, weil der VE regelmäßig nicht im Zeugenstand auftreten kann und die ihn betreffenden Akten aus Sicherheitsgründen gesperrt sind, so daß zumeist nur der VE-Führer als Zeuge vom Hörensagen auftreten kann und hinsichtlich des VE selbst allenfalls eine Videovernehmung mit Stimmverfremdung in Ausnahmefällen in Betracht kommt.

Jenseits dieser komplexen Fragen gibt es aber - wie bei anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen auch - Fälle, in denen man sich eigentlich nur wundern kann, wie Ermittlungsbehörden und Gerichte auf den Gedanken verfallen sind, in dieser Weise vorzugehen. Über einen solchen Fall hatte Anfang des Jahres der BGH mit Urteil vom 27.01.2009 - 4 StR 296/08 - zu entscheiden.

Die Angeklagte hatte nach den Feststellungen des erkennenden Landgerichts am 23. Juli 2001 ihre zwei Monate alte Tochter Chantal, am 13. September 2001 ihren 20 Monate alten Sohn Pascal sowie am 25. April 2004 ihren am 24. September 2002 geborenen Sohn Kevin jeweils mit einem Kissen erstickt, weil ihr die Kinder, um die sich schon zu Lebzeiten überwiegend andere Personen gekümmert hatten, "lästig" geworden waren, weil sich die Beziehungen zu den jeweiligen Vätern abgekühlt hatten, die Angeklagte neue Beziehungen eingegangen war und die Kinder diesen "im Wege" standen.

Am 30. April 2004 wurde die Angeklagte wegen des Verdachts, ihre drei Kinder getötet zu haben, nach Belehrung über ihre Rechte polizeilich als Beschuldigte vernommen. Sie erklärte, zu dem Tod ihrer Kinder Chantal und Pascal wolle sie keine Angaben machen, weil "die Sache" für sie abgeschlossen sei. Bezüglich ihres Sohnes Kevin war sie zu einer Aussage bereit, stellte jedoch den Vorwurf in Abrede. Auf Vorhalt der gegen sie vorliegenden Verdachtsmomente bestritt sie, ihre Kinder umgebracht zu haben. Schließlich erklärte sie, zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen nichts mehr sagen zu wollen.

Daraufhin entschloß man sich zum Einsatz eines Verdeckten Ermittlers, um möglicherweise auf diese Weise verwertbare Anhaltspunkte für die Überführung der mutmaßlichen mehrfachen Kindsmörderin zu erhalten. Zulässig wäre es dabei gewesen, darauf zu hoffen, daß der Verdeckte Ermittler das Vertrauen der Tatverdächtigen gewinnt und diese ihm gegenüber daraufhin von selbst verwertbare Angaben macht. Das gelang aber nicht. Daher wurde der Verdeckte Ermittler jetzt selbst aktiv und versuchte, die Tatverdächtige zu entsprechenden Äußerungen zu veranlassen:

Der Verdeckte Ermittler gab sich als Verfasser eines Buches über Chatgewohnheiten aus, der Personen suche, deren Geschichten er für sein Buch verwenden könne. In der Zeit von Anfang Februar 2005 bis zum 29. August 2006 trafen sich der Verdeckte Ermittler und die Angeklagte insgesamt 28-mal. Darüber hinaus hatten sie per SMS, E-Mail und Telefon Kontakt. Um das Vertrauensverhältnis zur Angeklagten zu untermauern, lenkte der Verdeckte Ermittler in Absprache mit seinem Führungsbeamten ab Anfang 2006 die Aufmerksamkeit der Angeklagten wiederholt auf seine eigene Vergangenheit und vertraute ihr am 14. Februar 2006 - wahrheitswidrig - an, er habe im Alter von ca. 20 Jahren seine Schwester getötet, was sonst niemand wisse. Zu einem Treffen der Angeklagten mit dem Verdeckten Ermittler in einem Café im Juli 2006 kam der die Ermittlungen führende Kriminalbeamte hinzu und erklärte, dass er noch immer davon überzeugt sei, dass die Angeklagte etwas mit dem Tod ihrer drei Kinder zu tun habe. Nach weiteren Treffen gestand die Angeklagte dem Verdeckten Ermittler schließlich, ihren Sohn Pascal getötet zu haben. Auf Nachfragen des Verdeckten Ermittlers äußerte sie sich zu ihrem Motiv und zu Einzelheiten der Ausführung der Tat.

So aber geht es nicht, wie der BGH klar feststellte:

Zwar sind die von einem Verdeckten Ermittler gewonnenen Erkenntnisse im Grundsatz verwertbar, wenn die Voraussetzungen für seinen Einsatz und die hierfür erforderliche richterliche Zustimmung (§§ 110 a Abs. 1 Satz 4, 110 b Abs. 2 Nr. 2 StPO) vorlagen […], was hier der Fall war und von der Revision auch nicht in Frage gestellt wird. Ein Verdeckter Ermittler darf aber einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat, nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befragung Äußerungen zum Tatgeschehen entlocken. Eine solche Beweisgewinnung verstößt gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten, und hat regelmäßig ein Beweisverwertungsverbot zur Folge […]. So liegt es hier.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat der Verdeckte Ermittler, was unbedenklich wäre […], das zwischen ihm und der Angeklagten bestehende Vertrauensverhältnis nicht lediglich genutzt, um Informationen aufzunehmen, die ihm die Angeklagte von sich aus gegeben hat. Zwar hatte sich der Verdeckte Ermittler zunächst darauf beschränkt, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und zu pflegen, in der Hoffnung, die Angeklagte werde eines Tages von sich aus auf die Vorwürfe zu sprechen kommen und die Taten einräumen. Als die Angeklagte nach nahezu einem Jahr keine sich selbst belastenden Angaben gemacht hatte, begann der Verdeckte Ermittler aber in Absprache mit seinem Führungsbeamten damit, auf die Angeklagte mit dem Ziel, sie zu solchen Angaben zu veranlassen, einzuwirken. Mit dem wahrheitswidrigen Bekenntnis bei dem Treffen am 14. Februar 2006, er habe seine Schwester getötet, brachte er die Angeklagte dazu, dass sie nur wenige Tage später Angaben zum Tod ihrer Tochter Chantal machte und schließlich auf Nachfragen des Verdeckten Ermittlers ihren Ehemann der Tat bezichtigte. Am 6. Juli 2006 erschien der ermittelnde Kriminalbeamte nach Absprache mit dem Verdeckten Ermittler in dem Café, in dem sich die Angeklagte und der Verdeckte Ermittler getroffen hatten, und konfrontierte sie gezielt erneut mit dem Verdacht, ihre Kinder getötet zu haben, um dem Verdeckten Ermittler Gelegenheit zu geben, das laufende Verfahren und die Tatumstände zu Sprache zu bringen. Durch den anschließenden Vorschlag des Verdeckten Ermittlers, er könne die Polizei aufsuchen und angeben, dass ihr Ehemann Chantal getötet habe, wurde der Druck auf die Angeklagte erhöht. "Angesichts der von ihr empfundenen "Seelenverwandtschaft"" vertraute die Angeklagte am 10. August 2006 in einem vom Verdeckten Ermittler heimlich aufgezeichneten Gespräch diesem schließlich an, Pascal erstickt zu haben.

Die Vorgehensweise des Verdeckten Ermittlers war verfahrensrechtlich unzulässig, weil er der Angeklagten unter Ausnutzung des im Verlauf seines fast anderthalb Jahre dauernden, in der Intensität zunehmenden Einsatzes geschaffenen Vertrauens selbstbelastende Angaben zur Sache entlockt hat, obwohl sie sich bei ihrer polizeilichen Vernehmung am 30. April 2004 für das Schweigen zu den gegen sie erhobenen Tatvorwürfe entschieden hatte […]. Das Gespräch mit dem Verdeckten Ermittler am 10. August 2006, in dem die Angeklagte die Tötung ihres Sohnes Pascal einräumte, stellt sich wegen der vorausgegangen Einwirkungen auf die Entscheidungsfreiheit der Angeklagten "als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung" dar […].

Der Verdeckte Ermittler darf also zuhören, was ihm die Person, auf die er "angesetzt" wurde, von sich aus anvertraut; er darf aber nicht "nachbohren" und auf sie einwirken, um sie zu Äußerungen ihm gegenüber zu verleiten. Solcherart erlangte Erkenntnisse sind unverwertbar.

Im vorliegenden Fall spielte das allerdings keine Rolle, weil das Gegenständnis danach mehrfach wiederholt und die Verwertung dieser Aussagen bereits nicht in entsprechender Art und Weise gerügt wurde, so daß der 4. Strafsenat sich mit der Frage eines Verwertungsverbots auch für diese Aussagen nicht auseinandersetzen mußte:

Bei ihrer Festnahme am 2. Oktober 2006 wurde die Angeklagte gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt. Ihr wurde der Haftbefehl wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen in drei Fällen ausgehändigt, der unter anderem darauf gestützt war, dass sie gegenüber einem Verdeckten Ermittler die Tötung Pascals eingeräumt habe. Die Angeklagte verzichtete nach erneuter Belehrung über ihre Rechte als Beschuldigte auf die Hinzuziehung ihres Verteidigers. Nach einem Vorgespräch, in dessen Verlauf ihr klar wurde, dass ihre Beziehung zu dem Verdeckten Ermittler auf einer Lüge aufgebaut war, räumte die Angeklagte ein, ihre drei Kinder Chantal, Pascal und Kevin mit einem Kissen erstickt zu haben. Bei der Verkündung des Haftbefehls durch den Haftrichter erklärte sie nach Belehrung, dass der Inhalt des Haftbefehls zutreffe. Im Rahmen der Exploration durch die psychiatrische Sachverständige wiederholte die Angeklagte ihr Geständnis. In der Hauptverhandlung erklärte sie, ihre Angaben bei der Exploration seien von der Sachverständigen zutreffend wiedergegeben worden; im Übrigen berief sie sich im Wesentlichen auf ihr Schweigerecht. […]

Auch soweit die Angeklagte wegen Mordes zum Nachteil ihrer Kinder Chantal und Pascal verurteilt worden ist, beruht das Urteil jedoch nicht auf der aus den vorgenannten Gründen unzulässigen Verwertung der Angaben der Angeklagten gegenüber dem Verdeckten Ermittler. Die Feststellungen zur vorsätzlichen Tötung der Kinder Chantal und Pascal beruhen vielmehr maßgeblich auf den geständigen Angaben der Angeklagten bei den polizeilichen Vernehmungen, bei der Vernehmung durch den Haftrichter, auf ihren - in der Hauptverhandlung bestätigten - Angaben bei der Exploration durch die Sachverständige und auf dem übrigen Beweisergebnis. Soweit sich die Angeklagte mit der Verfahrensrüge gegen die Verwertung dieser geständigen Angaben wendet, greift die Rüge schon deshalb nicht durch, weil sie insoweit aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts angeführten Gründen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Insbesondere hätte es der Mitteilung des Inhalts der Vernehmungsprotokolle, der im schriftlichen Gutachten der Sachverständigen wiedergegebenen Angaben der Angeklagten bei der Exploration und des Inhalts des Haftbefehls bedurft.

Es liegt nicht fern, daß eine entsprechend ausgeführte Verfahrensrüge zumindest teilweise erfolgreich gewesen wäre, denn es ist anerkannt, daß nach einer nicht verwertbaren Vernehmung vor einer erneuten Vernehmung eine qualifizierte Belehrung erfolgen muß, aus der sich nicht nur das Schweigerecht des Beschuldigten ergibt, sondern auch, daß die vorangegangene Vernehmung unverwertbar ist, weil sonst die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte irrtümlich annimmt, es sei nun ohnehin alles egal, weil er ja schon gestanden habe.

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