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Strafbarkeit des Entwendens eines RTW-Zundschlüssels

Geschichten, die das Leben schreibt …

Das Amtsgericht Emmendingen - Emmendingen liegt in der Nähe zu Freibug im südlichen Baden und ist Kreisstadt des gleichnamigen Landkreises - hatte bereits vor rund einem Jahr über einen direkt aus dem Leben gegriffenen Fall zu entscheiden, der sich Ende 2007 zutrug. Im Mittelpunkt des Geschehens stehen die Besatzung eines RTW sowie eines NEF und ein … hm … vermutlich Lebenskünstler, der der sog. Nichtseßhaftenszene offenbar zumindest nahestand, sich in reichlich alkoholisiertem Zustand an der Notfallversorgung einer Patientin beteiligen zu müssen glaubte und über die Zurückweisung so verärgert war, daß er der RTW-Besatzung einen Denkzettel verpassen zu müssen glaubte.

In Auszügen stellte sich die Sache für das Amtsgericht Emmendingen (Urteil vom 26.02.2008 = NJW 2008, 3511; NStZ 2009, 103) folgendermaßen dar:

Der Angeklagte ist angelernter Zimmermann. Zuletzt hat er seinen Beruf vor etwa 10 Jahren ausgeübt. Anschließend war er einige Jahre ohne festen Wohnsitz und reiste durch Europa. Anschließend lebte er im Obdachlosenmilieu. Seit Ende 2007 hat er wieder einen festen Wohnsitz. Derzeit bezieht er über "Hartz IV" monatlich 347,— EURO. Die Miete wird von der öffentlichen Hand gesondert an den Vermieter überwiesen. Nebenher arbeitet der Angeklagte noch etwa 20 Stunden wöchentlich auf 1-EURO-Basis bei der Zeitarbeitsfirma […]

In der Nacht vom 10. auf den 11.12.2007 sowie im Verlaufe des 11.12.2007 nahm der Angeklagte in erheblichem - im Einzelnen nicht mehr feststellbarem - Umfang alkoholische Getränke zu sich. Gegen Mittag nahm er auf dem Friedhof in Emmendingen an der Beerdigung eines Bekannten aus der Obdachlosenszene teil und spielte zu Ehren des Verstorbenen unter anderem auch mit seiner Gitarre am Grab.

[…] Kurz vor 15.00 Uhr brach im angrenzenden Gebäude der "Badischen Zeitung" eine Kundin zusammen. Der Angeklagte bemerkte das Eintreffen des herbeigerufenen Notarztwagens sowie eines Rettungswagens des Deutschen Roten Kreuzes. Er begab sich in das Gebäude der Zeitung und mischte sich in die Bemühungen der Notärztin und der Rettungssanitäter ein. Die Vorgenannten wiesen ihn wiederholt zurück; Mitarbeiter der "Badischen Zeitung" verwiesen ihn schließlich des Hauses.

Hierüber ärgerte sich der Angeklagte. Er verlies das Gebäude. Vor diesem war der Rettungswagen des Deutschen Roten Kreuzes Emmendingen unverschlossen abgestellt. Der Zündschlüssel steckte im Schloss. Der Angeklagte beugte sich in das Fahrzeuginnere, zog den Zündschlüssel ab und warf ihn unter einen von mehreren Tannenbäumen, die im Zusammenhang mit dem Weihnachtsmarkt in der Nähe des Rettungswagens aufgestellt waren. […]

Als die Patientin ausreichend stabilisiert war, um ins Krankenhaus transportiert werden zu können, wurde sie in das Rettungsfahrzeug verbracht. Nachdem festgestellt wurde, dass der Zündschlüssel verschwunden war, begab sich zunächst der Rettungsassistent F. auf die Suche nach dem Schlüssel. Sein Kollege schloss sich dem an.

Kurz danach begab sich eine Passantin, die den Vorfall beobachtet hatte, zum Rettungswagen und teilte dem Fahrer der Notärztin, G, mit, sie habe beobachtet, das ein Mann, der eine Gitarre bei sich geführt habe, den Schlüssel abgezogen habe. […] G verlies daraufhin den Rettungswagen. Nunmehr befand sich die Patientin allein mit der Notärztin in demselben. Aufgrund des fehlenden Zündschlüssels konnte unter anderem die Heizung nicht in Betrieb gesetzt werden. G begab sich in das Tabakwarengeschäft und sprach den Angeklagten an. Dieser stritt zunächst ab, mit der Sache etwas zu tun zu haben. Erst als G "nachdrücklicher" wurde und unter anderem begann, die Jackentaschen des Angeklagten gegen dessen Willen zu durchsuchen, führte der Angeklagte den Fahrer der Notärztin schließlich widerwillig zu dem vorerwähnten Tannenbaum und zeigte ihm, wo er den Zündschlüssel hingeworfen hatte. Die Abfahrt des Rettungswagens verzögerte sich durch das Verhalten des Angeklagten um mindestens 15 Minuten. Der Angeklagte hatte dies zumindest in Kauf genommen.

[…]

Zum einen handelt es sich auch bei einem Rettungswagen um ein zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen bestimmtes Rettungsgerät im Sinne der Vorschrift (so z.B. zutreffend MünchKommStGB- Zopfs , § 145 Rn 10). Zum anderen hat der Angeklagte dieses auch "unbrauchbar" gemacht. Hierfür bedarf es nicht etwa eines dauerhaften Funktionsverlustes oder gar einer Substanzverletzung (zu eng etwa SK- Rudolphi , § 145 Rn 5). Das Verstecken des Zündschlüssels eines Rettungsfahrzeuges stellt folglich eine Beeinträchtigung des Rettungsgerätes im Sinne der Vorschrift dar (wie hier LK- von Bubnoff , § 145 Rn 22).

Das Amtsgericht verurteilte den mehrfach vorbestraften und (wegen eines Verbrechens des versuchten Verkaufs von Betäubungsmitteln - hier: Cannabis - an Minderjährige) unter Bewährung stehenden Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten, deren Vollstreckung es erneut zur Bewährung aussetzte.

In rechtlicher Hinsicht ist die Entscheidung m.E. wenig überraschend; aber sie liest sich, wie ich finde, sehr farbig, und der Kenner rettungsdienstlicher Abläufe wird sich den Hergang lebhaft vorstellen können. Außerdem stellen sich durchaus interessante einsatztaktische Fragen, die über das diskussionswürdige Steckenlassen des Schlüssels im Zündschloss hinausgehen. Man könnte beispielsweise darüber nachdenken, warum kein weiteres Rettungsmittel angefordert wurde, warum sich sukzessive das gesamte Rettungsfachpersonal entfernt und die Notärztin mit der Patientin alleine zurückläßt etc. pp.

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Patrik Müller am : Patrik Müller via Twitter

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Hier Infos zum Urteil: https://t.co/pIIAGyVql5

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