Wer zügig fahren will, fährt mit dem Zug.
Die Aufgabe: freitags nach der Arbeit nach Bremen, am Sonntag nach dem Frühstück zurück nach Stuttgart.
Der Plan: die Bahn. - Befragt, warum ich denn nicht stattdessen fliegen wolle, verwies ich auf den Vorteil einer Bahnfahrt, jedenfalls in der 1. Klasse: bequeme Sitze und einige Stunden Gelegenheit zum Arbeiten, statt ständig warten zu müssen für vergleichsweise kurze Zeitabschnitte und dann auf dem Flug eingeklemmt in engen Sitzen zu hocken. Und was soll auf einer solchen Bahnreise schon groß schiefgehen?
Am Freitagmorgen wurde mir bewusst, dass, nun ja, Freitag ist. Freitag und Sonntag sind ja nicht ganz optimale Tage für die Bahn, weil die Züge dann durch viele Wochenendpendler benutzt werden, meist unvorhersehbar und überraschend. Zudem war es schon morgens brütend heiß - und dass die Bahn mit der Hitze im Sommer (und dem Schmier auf den Schienen im Herbst, und dem Schnee im Winter …) ab und an Probleme hat, ist ja auch nicht neu. Doch was soll’s? Guten Mutes ging es also am Nachmittag zum Bahnhof. App und Anzeigetafeln melden den Zug fast pünktlich - allerdings auch einen gesperrten Wagen. Ausfall der Klimaanlage. Natürlich der Wagen mit meiner Reservierung. Das kann ja heiter werden.
So ähnlich kam es dann auch nach der Einfahrt des Zuges, allerdings wurde vor allem mein Gemüt heiter: zwar war ein Wagen gesperrt, aber entgegen der Ankündigungen nicht “meiner”. So hatte ich meinen Platz sicher - was auch bitter nötig war, denn (wie wir alle fünf Minuten erfuhren) der Zug sei völlig überfüllt und werde erst abfahren, wenn die Fahrgäste ohne Sitzplatzreservierung, die keinen Platz gefunden hätten, aussteigen würden. Aus irgendwelchen Gründen stieß dieses Ansinnen offenbar auf wenig Begeisterung (das mag damit zusammenhängen, dass etliche andere Fernzüge “heute leider entfallen” mussten), so dass es drei- oder viermal wiederholt werden musste. Mit 27 Minuten Verspätung ging es dann auf die Reise - bei nicht ganz 25 Minuten Umsteigezeit in Hannover vielleicht etwas knapp.
In Mannheim und dann auch in Frankfurt leerte sich der Zug zusehends; er holte sogar wieder etwas auf, nahm allerdings an irgendeinem Haltepunkt bei Frankfurt dann noch außerplanmäßig Passagiere auf. In Hannover - kurz davor traute sich dann nach gut vier Stunden Fahrt tatsächlich einmal jemand, die Fahrtkarten zu kontrollieren - könne daher leider, so wurde uns bestellt, der Anschlusszug nach Emden über Bremen nicht warten; man möge einen Regionalexpress besteigen. Die App war allerdings der Ansicht, auch dieser Zug habe 25 Minuten Verspätung und werde daher gut erreicht.
Was soll ich sagen: beide hatten Unrecht. — 25 Minuten nach Planabfahrt fuhr tatsächlich ein Zug ein, der allerdings für den auf den Anzeigen angekündigten IC etwas sehr rot geraten war. Auch das - ebenfalls wartende - Zugteam fand, dass das (Anzeige hin oder her) nicht nach ihrem IC aussehe. Schon kurz nach der Einfahrt sprangen dann auch die Anzeigen um und eine Stimme aus dem Off erklärte den verwirrten Reisenden, es handele sich um den Regionalexpress. Kurz darauf stellte sich dann auch heraus, dass sich die Ankunftsverspätung des IC auf 50 Minuten erhöht hatte (es wurden dann knapp 60) - viele Mitreisende entschlossen sich daher, dass der Regionalexpress auf dem Gleis doch besser sei als der IC im Fahrplan, und stiegen dort ein. Das muss sich dann aber im weiteren Verlauf als nicht ganz so günstige Lösung erwiesen haben … denn wir sahen uns später noch wieder.
Jedenfalls fuhr der IC tatsächlich irgendwann einmal ein und entpuppte sich als neuer, doppelstöckiger solcher - sehr schick, jedoch mit Gepäck nur begrenzt praktisch, fürchte ich. Aber er hatte sehr moderne Anzeigen an den Stirnwänden der Wagen, mit einem wirklich wichtigen Feature, nämlich der Einblendung der voraussichtlichen tatsächlichen (!) Ankunftszeit: beim derzeitigen Zustand der Bahn quasi unverzichtbar. (Gut, eine Anzeige war irgendwann morgens um kurz nach 6 Uhr hängengeblieben und war daher zeitlich und räumlich etwas verwirrt, aber die andere funktionierte.) — Kurz vor Bremen stiegen dann auch alle diejenigen zu, die ich in Hannover noch in den RE hatte einsteigen sehen - warum auch immer, es lief vermutlich irgendetwas nicht ganz nach Plan. Die Zugchefin immerhin konnte uns verkünden, wir würden unseren Endbahnhof heute rund eine Stunde später erreichen - aber erreichen, und das sei deutlich mehr, als heute manch anderem Zug gelungen sei. Der Blick auf das Positive war ihr also erhalten geblieben - wobei die aufgetretenen Probleme wohl größtenteils unwetterbedingt waren, so dass man dem Unternehmen Bahn daraus schlecht einen Vorwurf machen kann. Und immerhin bemühte man sich sehr, die Reisenden zu sammeln, die weiter als nach Emden wollten - das werde nämlich heute nichts mehr. Erfreulich: statt sie dann in Emden nachts verenden zu lassen, forderte man sie mehrfach dringlich auf, schon in Bremen auszusteigen und sich dort an den - dann noch besetzten - Servicepoint zu wenden, der dann die Weiterfahrt organisieren könne.
Schließlich und endlich muss ich sagen: ich bin angekommen und war’s dann auch zufrieden, die Bahn hat eine Verspätung von knapp unter 60 Minuten gehalten und war dann sicherlich auch zufrieden, nicht wieder mit Fahrgastrechteformularen belämmert zu werden. Also Ende gut - alles gut.
Aber vielleicht sollte ich doch einmal schauen, wie es mit Flugverbindungen aussieht … zumal bei der Rückfahrt der Anschlusszug auch 50 Minuten Verspätung hatte - noch von seinem letzten Umlauf mitgebracht und in den Folgeumlauf mitgenommen. Die Bahn war sicher wieder glücklich, weil sie erneut keine Entschädigung zu leisten hatte, aber meine Beglückung war dann doch eher gemindert.
PS: 1965 waren Züge vielleicht sogar noch zügiger.
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