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Staatsanwaltschaftliche Vernehmung nur durch den Staatsanwalt

Im Ermittlungsverfahren werden Zeugen - und Beschuldigte - im Regelfall durch die Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft, in erster Linie also durch Polizeibeamte, vernommen (und falls es zu einer Anklage kommt, in der Hauptverhandlung dann durch das Gericht). Das ist sinnvoll und effizient; nicht nur, daß zumindest Beamte der Kriminalpolizei das Vernehmen gelernt haben (sollten), was sie von Staatsanwälten unterscheidet, es ist auch eine simple Frage der Ressourcen. Würde der Staatsanwalt jeden Zeugen selbst vernehmen, bedürfte es einer Vervielfachung der personellen Ausstattung der Staatsanwaltschaften. Es mag möglich sein, je nach Schwerpunkt der Tätigkeit und deren Umfang, 20, 120 oder mehr Verfahren pro Monat irgendwie abzuschließen, es ist aber sicherlich nicht möglich, zusätzlich in jedem dieser Verfahren einen, zehn oder hundert Zeugen zu vernehmen.

Allerdings sind Zeugen nicht verpflichtet, auf Vorladung vor der Polizei zu erscheinen und dort auszusagen (Beschuldigte auch nicht, aber da diese ohnehin ein Schweigerecht haben, ist das in diesem Fall weniger relevant). De lege lata kann das Erscheinen zu einer polizeilichen Vernehmung daher nicht erzwungen werden, auch wenn de lege ferenda entsprechende Änderungsvorschläge mehrfach aufgebracht wurden und auch derzeit wieder im Gespräch sind (meistens in der Weise, daß auf staatsanwaltschaftliche Weisung hin der Zeuge auch vor der Polizei zu erscheinen hat). Im Unterschied dazu sind Zeugen verpflichtet, auf richterliche oder staatsanwaltschaftliche Ladung hin zu erscheinen und auszusagen (natürlich auch hier nur wie dann auch in der Hauptverhandlung, soweit ihnen keine Zeuginis- oder Aussageverweigerungsrechte zukommen). Diese Pflicht kann durch Vorführung, Ordnungsgeld und Ordnungshaft ("Beugehaft") durchgesetzt werden. Für die seltenen Fälle, in denen Zeugen sich weigern, zur polizeilichen Vernehmung zu erscheinen oder dort keine Angaben machen, hat es sich daher eingebürgert, diese Zeugen sodann zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung zu laden, wenn es auf ihre Angaben ankommt. Und nachdem es der Staatsanwaltschaft oft schon an den personellen und sachlichen Ressourcen für solche Vernehmungen mangelt (geeignete Räume, zeitnahes Schreiben von Tonbandvernehmungen oder - noch besser - Aufnahme der Vernehmung direkt zu Protokoll durch eine Schreibkraft), in den meisten Ermittlungsverfahren der polizeiliche Sachbearbeiter besser "im Fall drin ist" (schon weil er weniger Verfahren gleichzeitig zu bearbeiten hat) und vielleicht auch geübter im Vernehmen ist, finden solche staatsanwaltschaftlichen Vernehmungen nicht selten bei der und häufig dann auch durch die Polizei statt, zwar in Anwesenheit des sachbearbeitenden Staatsanwalts, aber im wesentlichen sonst nicht anders als eine polizeiliche Vernehmung auch verlaufen wäre.

Dieser Vorgehensweise hat das Hanseatische OLG Hamburg mit Beschluss vom 17.07.2009 - 2 Ws 95/09 - in Teilen jedoch eine Absage erteilt und festgehalten, dass eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung nicht dadurch gekennzeichnet ist, dass die Ladung durch die Staatsanwaltschaft erfolgt und ein Staatsanwalt anwesend ist, sondern dass der Staatsanwalt die Vernehmung auch zu führen hat, d.h. in ihren wesentlichen Teilen zu prägen und das Protokoll zu unterzeichnen. Das Gericht führt aus:

Der Zeuge F. wurde sodann von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung geladen – in die Räume des Polizeipräsidiums Hamburg, LKA 65 –, wo er am 17. Februar 2004 zu dem Vernehmungstermin erschien. Das dort aufgenommene Protokoll hält folgendes fest:

"Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg …
Gegenwärtig Staatsanwalt Sch. als Vernehmender …
Protokoll
In der Ermittlungssache gegen die Beschuldigten S. L. und A. Al.-S. wegen Verstoßes gegen das WaffG u.a. Delikte erschien auf Ladung D. F."

[…]

Weiter heißt es in dem Protokoll – am Ende des (ersten) Protokollblattes –:

„Sodann zur Sache:“

[…]

Unter gleichem Kopf (Freie und Hansestadt Hamburg, Behörde für Inneres, Polizei …) schließt an ein weiteres (drittes) Blatt folgenden Inhalts:

„Zeugenschaftliche Vernehmung des D. F. …

[…]

Frage: Herr F. erzählen Sie bitte, was am 15.03.2008 an der Shell-Tankstelle anlässlich der dortigen Auseinandersetzung genau passiert ist und wie es dazu gekommen ist.

Antwort: Ich kann dazu weiter keine Angaben machen, weil ich in der Gefahr stehe, mich selber zu belasten. Ich habe vor Gericht eine Erklärung abgegeben und möchte mich auf den § 55 StPO berufen. Die Erklärung war zu dem Verstoß gegen das Waffengesetz und jetzt stehen hier andere Delikte im Raum und ich habe Angst, mich zu belasten.

Frage: Durch Ihre Verurteilung ist ein sog. Strafklageverbrauch eingetreten.

Anmerkung: Der Strafklageverbrauch wird Herrn F. von Herrn Sch. erläutert.

Antwort: Da ich juristisch nicht so bewandert bin, kann ich das nicht nachvollziehen. Ich habe immer noch Angst, mich selbst zu belasten. Ich werde dazu nichts sagen. Ich bin momentan körperlich und psychisch nicht in der Lage, etwas dazu zu sagen.

Geschlossen:“

Es folgen die Unterschriften des Polizeibeamten L. und unter „Gezeichnet“ des Zeugen.

Am Ende dieses Protokollblattes heißt es: „Zugegen: Sch., StA Hamburg, Abteilung 65“.

Die Staatsanwaltschaft beantragt dann die Festsetzung von bis zu sechs Monaten Erzwingungshaft, die das Amtsgericht auch anordnet. Das Landgericht verwirft die dagegen eingelegte Beschwerde. Auf die weitere Beschwerde hat das OLG dann folgendes ausgeführt:

Eine staatsanwaltschaftliche Vernehmung, die nach den §§ 161 a Abs. 2 Satz 1, 70 Abs. 2 StPO zur Zeugniserzwingung hätte berechtigen können, lag jedenfalls bezüglich der Vernehmung zur Sache nicht vor. Vielmehr handelte es sich bei der Vernehmung  des Zeugen F. vom 17. Februar 2009 insoweit um eine Vernehmung vor der Polizei, auf die die §§ 161 a Abs. 2 Satz 1, 70 Abs. 2 StPO Anwendung nicht finden.

Dies ergibt sich aus Folgendem:

a) Ein staatsanwaltschaftliches Vernehmungsprotokoll ist nicht erstellt worden, da es bereits mangels Unterzeichnung durch einen Staatsanwalt an der Fertigstellung eines solchen Protokolls fehlt. Allerdings ist Staatsanwalt Sch. inhaltlich – möglicherweise – als Vernehmender bezüglich der Vernehmung des Zeugen zur Person tätig geworden. Bezüglich der Vernehmung zur Sache („Sodann zur Sache“) ist indes ausschließlich der Polizeibeamte L. Vernehmungsperson gewesen. Dies ergibt sich schon äußerlich aus der Protokollunterzeichnung durch diesen Polizeibeamten und der Bezeichnung des Staatsanwalts Sch. als lediglich „zugegen“ gewesen – unter signifikanter Verwendung polizeilicher Formblätter (siehe die Kopfzeilen der Blätter 2 und 3 des Protokolls) –. Ebenso weist der protokollierte ebenso wie der durch Vermerk zu den Akten gebrachte Inhalt der Vernehmung aus, dass jedenfalls die Befragung des Zeugen zur Sache allein durch den Polizeibeamten L. erfolgte. Die durch den Staatsanwalt Sch. vorgenommene Belehrung zu den Voraussetzungen eines Strafklageverbrauchs im Hinblick auf § 55 StPO änderte nichts an dem Umstand, dass Staatsanwalt Sch. jedenfalls Fragen zur Sache an den Zeugen nicht richtete, und machte die Vernehmung auch unter diesem Aspekt nicht zu einer staatsanwaltschaftlichen. Zwar hätte es der Staatsanwaltschaft frei gestanden, im Rahmen einer staatsanwaltschaftlichen Zeugenvernehmung einen Polizeibeamten zu ihrer Unterstützung hinzuzuziehen, um sich dessen fachlicher Hilfe zu bedienen, und diesen auch Fragen an den Zeugen richten zu lassen. In dieser Weise ist indes nicht verfahren worden. Der Polizeibeamte L. wurde nicht lediglich als Gehilfe eines vernehmenden Staatsanwalts tätig. Er führte vielmehr die Amtshandlung des Staatsanwalts an dessen Stelle faktisch eigenständig und quasi autonom als alleiniger Befrager und alleinige Vernehmungsperson durch.

b) Dem gesetzlichen Bild des § 161 a Abs. 1, Abs. 2 StPO entsprach eine solche Vorgehensweise nicht. Bereits die Gesetzesmaterialien verdeutlichen dies unmissverständlich.

Demnach wird also darauf zu achten sein, daß staatsanwaltschaftliche Vernehmungen sich durch Stellung von Fragen zur Sachen - oder sogar durch die Leitung der Vernehmung - durch den Staatsanwalt auszeichnen, das Protokoll den Kopf der Staatsanwaltschaft trägt und der Staatsanwalt es als Verantwortlicher unterzeichnet. Zumindest die das Protokoll betreffenden Vorgaben sind glücklicherweise durch die Möglichkeiten der EDV leicht umsetzbar.

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