Vorratsdatenspeicherung verfassungswidrig
Das Bundesverfassungsgericht hat heute entschieden, daß die Vorschriften über die sog. Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten grundgesetzwidrig und damit nichtig sind.
So schockierend wie das zunächst klingt ergibt eine kurze Durchsicht der Urteilsgründe (ich hoffe, später noch mehr Zeit zu einer ausführlicheren Auseinandersetzung damit zu finden) jedoch ein etwas differenzierteres Bild; auch die Pressemitteilung des Gerichts ist sicherlich mit Bedacht "Konkrete Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung nicht verfassungsgemäß" betitelt.
Das Bundesverfassungsgericht hat zunächst festgestellt, daß eine Vorratsdatenspeicherung in der bisher gesetzlich geregelten Art und Weise trotz aller dagegen vorgebrachten Argumente im Grundsatz verfassungsgemäß ist, soweit der Zugriff auf diese Daten nur zur Verfolgung gravierender Straftaten bzw. zur Abwehr entsprechend gravierender und hinreichend konkret gewordener Gefahren erfolgen darf; die nunmehr umrissenen Grenzen entsprechen im wesentlichen dem Inhalt der einstweiligen Anordnungen des Gerichts. Darüber hinaus fordert das Bundesverfassungsgericht bereits im Gesetz ausreichende Vorgaben zur Sicherstellung eines hohen Standards bei der Datensicherheit; daneben stehen weitere Erwägungen zur Frage der verdeckten Erhebung der Verkehrsdaten und zu erweiterten Benachrichtigungspflichten. Schließlich erteilt das Bundesverfassungsgericht der Behauptung eine Absage, daß die Finanzierung der notwendigen Umsetzungsmaßnahmen durch die Verpflichteten, also die Anbieter, selbst nicht der Verfassung entspreche.
Insgesamt also eine wohlabgewogene Entscheidung, die man nicht in allen Punkten teilen muß, aber mit der man leben kann. Unverständlich aber die mit der denkbar knappsten Mehrheit getroffene Entscheidung des Senats, die verfassungswidrigen Vorschriften über die konkrete Umsetzung für nichtig zu erklären, ohne dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu geben, binnen einer kurzen Frist nach den Vorgaben des BVerfG nachzubessern. Diese Entscheidung ist nicht nur wegen der gravierenden Folgen für die Möglichkeit zur Verfolgung schwerer und schwerster Straftaten - von der Gefahrenabwehr will ich nicht zuletzt aufgrund mangelnder Kenntnis des Bereichs gar nicht sprechen -, sondern auch deshalb umso schwerer nachvollziehbar, weil das BVerfG sich in gewisser Weise in Widerspruch zu seinen eigenen einstweiligen Anordnungen setzt. Nachdem es festgestellt hat, daß die Regelungen im wesentlichen verfassungskonform sind, hätten m.E. genau die auch in den einstweiligen Anordnungen genannten Gründen dafür gesprochen, die bisherigen Regelungen im dort genannten Umfang bis auf weiteres in Kraft zu belassen, wie auch die Sondervoten betonen.
Nun ist also die Bundesregierung gefordert, sehr zeitnah eine Neuregelung entsprechend der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu treffen. Es steht dringend zu hoffen, dass allerspätestens bis zum Jahresende eine solche Neuregelung in Kraft tritt.
Zu bedauern sind die Provider, die erst unter erheblichem Aufwand (und Kosten!) eine Vorratsdatenspeicherung umsetzen mussten, diese jetzt - wieder mit erheblichem Aufwand! - deaktivieren müssen, um sie dann demnächst wieder - mit aufgrund der erhöhten Datenschutzanforderungen noch höherem Aufwand - wieder einzuführen. Auch denen gibt das höchste deutsche Gericht mit seiner heutigen Entscheidung letztlich Steine statt Brot.
Kommentare
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Wiszszaf am :
Nun, auch wenn mein StPO-Prüfer ähnliche Worte fand, sollte man bitte nicht vergessen, daß dieses "schärfste Schwert des BVerfG" (so mein Prüfer) nicht etwa ultima ratio sondern der verfassungsrechtliche Standardfall(!) ist: Verfassungswidrige Gesetze sind null und nichtig und nicht anwendbar.
Die vorübergehende Aufrechterhaltung eines verfassungswidrigen Gesetzes ist vielmehr entwickelt worden, um solchen Fällen zu begegnen, in denen ein Entfallen des verfassungswidrigen Gesetzes selbst wiederum eine derart unerträgliche verfassungswidrige Lage schaffen würde, daß das vorübergehende Weitergelten das kleinere Übel wäre.
Und man kann über die VDS sagen was man will: Weder haben in D vorher unhaltbare Zustände geherrscht, noch gehen Länder wie Österreich momentan ohne VDS unter.
Thomas Hochstein am :
Ja, eben. Und daß das - bei Berücksichtigung der Vorgaben aus den einstweiligen Anordnungen - der Fall ist, ergibt sich aus eben diesen einstweiligen Anordnungen.
Das verkennt die tatsächliche Situation vor Einführung der VDS - die wurde ja nicht im leeren Raum eingeführt, sondern im wesentlichen zur Erhaltung des status quo.
Wiszszaf am :
Abgesehen von einigen Wiefelspütz’schen Äußerungen, wurde die VDS eingeführt, weil eine EU-RL zur Terrorbekämpfung umgesetzt werden sollte - noch wenige Jahre vorher (17. Februar 2005) hat der Bundestag etwas derartiges strikt abgelehnt.
Und sie wurde ganz gewiss nicht zur Erhaltung eines Status quo eingeführt, denn es gab vorher lediglich die jederzeit vom Kunden verhinderbare 90-Tage-Speicherung bei Telefondaten und einige wohl rechtswidrige IP-Speicherungen. Es gab insbesondere nicht die Speicherung von:
eingehenden oder erfolglosen Verbindungen, Handy-Standortdaten (Wer hat wo telefoniert?) und E-Mail-Verbindungsdaten
Und wie gesagt: Siehst Du Anzeichen, daß sich Österreich und Schweden (Umsetzung bisher nicht erfolgt) oder Rumänien(Verfassungswidrigkeit festgestellt) in einem unhaltbaren, verfassungswidrigem Zustand befinden? Denn nur diese Feststellung würde die Weitergeltung einer verfassungswidrigen VDS-Vorschrift rechtfertigen.
Will sagen: Man kann ja (auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann) der Meinung sein, daß die VDS sinnvoll und hilfreich sei. Aber doch sicher nicht verfassungsmäßig essentiel?
Thomas Hochstein am :
eingehenden oder erfolglosen Verbindungen, Handy-Standortdaten (Wer hat wo telefoniert?) und E-Mail-Verbindungsdaten
Das stimmt - mit Ausnahme der E-Mail-Verkehrsdaten, die in diesem Fall eher weniger relevant sind - schlicht nicht.
Wiszszaf am :
Könntest Du mir irgenwas zum Nachlesen dazu geben?
IMHO durfe vor der VDS das und nur das gespeichert werden, was für eine Abrechnung notwendig war. (ggf. über eine eventuell technisch notwendige Speicherung von wenigen Tagen hinaus)
Bei den dt. Tarifen waren erfolglose Verbindungen genauso unwichtig für die Abrechnung wie eingehende Verbindungen einschließlich deren Telefonnummer. Genauso dürfte der Handymast, von dem aus ich telefoniert habe, keine Rolle gespielt haben. (Ausnahme mag eventuell die Genion Homezone gewesen sein).
Und es bleibt IMO auch dabei: Insbesondere die Aufzeichnung der Rufnummern konnte jederzeit verhindert oder auf den letzten drei Ziffern anonymisiert werden.