ICE-Bahnhof Kornwestheim oder "höhere Gewalt"
Nett ist’s im Stuttgarter Hauptbahnhof, wenn man noch 20 Minuten Zeit bis zur Abfahrt seines ICE hat. Insbesondere, wenn abends schon alles so ruhig ist: kein Zugverkehr, kaum wartende Züge, keine Lautsprecherdurchsagen. Kann man noch einige Mails auf dem Laptop erledigen.
Gut, als dann ein halbes Dutzend Feuerwehrleute mit vielerlei Gerät vor mir entlang zum Ende des Bahnsteiges marschiere, fiel mir dann auch auf, dass es eigentlich zu ruhig war. Nicht, dass die Bahn sich zu einer Mitteilung gedrängt gefühlt hätte, was denn nun schon wieder los ist …
Ich will’s kurz machen: der Blitz hatte eingeschlagen.
Wohl direkt mehrfach.
Und nun war der Bahnhof weitgehend stromlos, zumindest eine Hälfte der Gleise. Und die andere tat es eigentlich auch nicht so. Ausfahrt der bereitstehenden Züge im Schnitt eine Stunde (oder noch länger) später, Ankunft der noch ausstehenden solchen (insbesondere des ICE München-Dortmund über Mannheim) laut "Service"Point unbestimmt. Schon hier von "Service" wenig zu sehen: natürlich weiss die linke Hand nicht, was die rechte tut, Aussagen sind (trotz der demonstrativ geschwungenen Funkgeräte) grundsätzlich widersprüchlich; definitives gibt es wenig; und Gutscheine für Taxis/Hotels auch nicht, denn man habe gar nicht genug, man sei "nicht der Depp" und es handele sich ja auch um höhere Gewalt. Man möge das einfach vorstrecken und dann den Beleg bei einer Kundenservicestelle einreichen. (Andere telefonische Aussagen von Servicestellen wurden nach Rücksprache mit der vorgesetzten Transportleitung recht rüde abgeblockt.)
Gut, kurz nach der Zusage, der ICE werde wohl irgendwann demnächst einfahren, ergibt sich aus mitgehörten Gesprächen anderswo, dass besagter ICE mitnichten demnächst einfährt, sondern vielmehr "auf Grund des Blitzeinschlages umgeleitet [wird] und […] Stuttgart heute nicht an[fährt]". Aber er hält immerhin ausserplanmäßig in Kornwestheim, dort könne man zusteigen. Wie man dorthin …? Ach, vielleicht mit der S-Bahn. Nach demonstrativer Notiz dieser Auskunft und vor allem des Namens des auskunftgebenden Mitarbeiters fragt man dann lieber doch noch einmal nach, und plötzlich soll man statt der S-Bahn lieber einen der noch herumstehenden Regionalexpresse besteigen, der dann auch ausserplanmäßig in Kornwestheim halten soll (was eine Lautsprecherdurchsage dann auch sogleich bestätigt). Nicht dass die an diesem Bahnsteig stehenden Service-Mitarbeiterinnen das auch schon mitbekommen hätten… Nach dem gerade noch höflichen Hinweis, dass es möglicherweise nicht bei höherer Gewalt bleiben muss, wenn das in dieser Weise weitergeht, kommt dann die Bestätigung: ja, dieser Zug soll es sein.
Und tatsächlich, nicht nur in Zuffenhausen wartet ein Intercity, auch in Kornwestheim, dem wohl jüngsten ICE-Bahnhof: "Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Regionalexpress hält in Kürze ausserplanmäßig in Kornwestheim. Dort haben Sie Anschluß an den ICE 510 von München nach Dortmund, über Stuttgart usw. usf." Und tatsächlich, nach einigen ausserplanmäßigen Halts sowohl des RE als auch später des ICE kommt man dann mit nur 1:40 h Verspätung in Mannheim an. Manche Anschlusszüge sind sogar noch da … Für die Reisenden in meine Richtung ist allerdings nur noch der Servicepoint zuständig - reguläre Züge gibt es nicht mehr.
Besagter Servicepoint, immerhin mit einem ganzen Mitarbeiter besetzt, um den Anfragen der knapp 40 Reisenden Herr zu werden (die ja auch völlig überraschend mit nur drei Stunden Vorlaufzeit dort eintreffen), führt dann den "Service"-Gedanken aus Stuttgart nahtlos fort. Statt Taxi-Gutscheinen, um die Leute wenigstens noch heute an ihr Ziel zu bringen, gibt es irrwitzige Zugverbindungen ausgedruckt ("Solange noch Züge fahren, darf ich keine Taxi-Gutscheine ausgeben."), bis hin zu "Sie fahren jetzt bis $Mini-Bahnhof, und dort wartet dann ein Taxi auf Sie." Na klar, das wird bestimmt funktionieren. Nachts, kurz vor eins. Die Bahn hat es ja gesagt. Und falls nicht, ist auch egal, denn besagter Mini-Bahnhof hat schon tagsüber keinen Service-Point und ist ab 18 Uhr sowieso geschlossen - da kann man seine eventuellen Beschwerden nicht mehr loswerden, und Züge fahren da dann auch erst wieder morgens.
Glücklich der, der morgens etwas spät dran war und daher mit dem Auto nach Mannheim starten mußte - ich habe mich nie mehr gefreut als da, trotz Parkgebühren und aller sonstigen Imponderabilien, endlich nicht mehr Den Bl**en ausgeliefert zu sein. Im übrigen: über alle weiteren Randerscheinungen, die sich unter "Service? Was ist das?" und "Kommunikationsversagen" zusammenfassen lassen, breite ich lieber den Mantel des Schweigens. Der Eintrag ist ohnehin schon wieder viel zu lang geworden.
Kommentare
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-lino- am :
Du hast es tatsächlich geschafft mich von meiner Meinung über die Bahn abzubringen, gratuliere. Bisher war ich mir immer sicher, die Bahn hat nur eine Problem, nämlich ihre Kunden. Jetzt muss ich aber zugeben, daß sie noch zwei weitere hat: - die Natur - ihre Mitarbeiter
lino