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Unkenntnis oder mangelnde Sorgfalt bei der Urteilsabsetzung?

Unter den Az. 1 StR 158/08 und 1 StR 554/08 hat der BGH in der Sitzung vom 14.01.2009 über die Revision im Misshandlungsfall in der Bundeswehr-Grundausbildung in der  Freiherr-vom-Stein-Kaserne in Coesfeld entschieden; den Sachverhalt setze ich aufgrund der Presseberichterstattungs als bekannt voraus. Jenseits des juristischen Inhalts fallen dem Leser aber in diesen Entscheidungen direkt mehrere Fehler bzw. Ungenauigkeiten in dem vom Landgericht Münster festgestellten Tatbestand auf, den der BGH rekapituliert, und zwar Ungenauigkeiten solcher Art, daß bereits im Grundwehrdienst erworbene Kenntnisse oder gewisse Basiskenntnisse über den Aufbau der Bundeswehr zu deren Erkennung genügen; umso überraschender, daß einer Großen Strafkammer an mehr als einer Stelle ein solcher Lapsus unterläuft, auch wenn er für die rechtliche Beurteilung des Falles irrelevant ist. Man darf wohl davon ausgehen, daß der Sachverhalt in den Ermittlungsakten zutreffend dargestellt war.

So rekapituliert der BGH in beiden Urteilen unter Rz. 7 die Feststellung des Landgerichts, es habe ein Schreiben des "Heeresführerkommando der Bundeswehr" zu einer bestimmten Frage gegeben. Die Zeit eines "Führers" ist in Deutschland allerdings schon länger um, weshalb diese oberste Kommandobehörde des Heeres auch "Heeresführungskommando" (HFüKdo) heißt. Unter Rz. 13 wird dem erstaunten Leser dann mitgeteilt, die Ausbilder, die für die Rekruten einen Hinterhalt vorbereiteten, hätten "Gewehre mit geladenen Manöverpatronengeräten" bei sich geführt. Ein Manöverpatronengerät (MPG) ist allerdings nichts anderes als ein Bauteil, das man - anstelle des Mündungsfeuerdämpfers - auf die Mündung einer Schusswaffe aufsetzen kann, um sicherzustellen, daß auch bei der Verwendung von Platzpatronen der Gasdruck ausreicht, um den Verschluss zu entriegeln, so daß die nächste Patrone in die Kammer befördert wird. Ein MPG kann man demnach nicht laden; dementsprechend führten die Ausbilder also mit Platzpatronen geladenen Gewehre, auf die Manöverpatronengeräte aufgesetzt waren, mit sich.

Sicherlich sind diese Kleinigkeiten für die tatsächliche und rechtliche Erfassung des Sachverhalts nicht relevant; man fragt sich aber unwillkürlich, ob dann nicht auch an anderer Stelle Mißverständnisse oder Unkenntnis der zugrundeliegenden Sachverhalte vorgelegen haben, die die tatsächliche und rechtliche Würdigung möglicherweise doch beeinträchtigen - gerade dann und gerade deshalb, weil es in diesem Fall auch auf das "Wesen des militärischen Dienstes" (a.a.O., Rz. 40) ankommt.

Unabhängig davon sind die Revisionsentscheidungen des BGH durchaus instruktiv zu der doch recht speziellen Thematik des Wehrstrafrechts, die in der Bundesrepublik in der Praxis eher ein Schattendasein führen dürfte.

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Kommentare

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Thomas Hühn am :

Thomas Hühn

Ergänzend möchte ich allerdings zu bedenken geben, daß während meines Grundwehrdienstes ein oder zwei Hexale nach mir (Leidensgenossen aus der Ausbildungskompanie waren dabei Hilfsausbilder) eine Übungseinheit mit G3 zerlegen/zusammensetzen, Auf-/Abmunitionieren von leeren Hülsen bei gestecktem MPG (weil später noch Schüsse mit Platzpatronen folgen sollten) ziemlich abrupt abgebrochen wurde, nachdem eine Aufsicht beim Schützen unter den Hülsen auch eine scharfe Pumpel fand…

Thomas Hochstein am :

Thomas Hochstein

Das ist mal eine "nette" Variante des "geladenen Manöverpatronengeräts" …

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