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Zur Veröffentlichung fremder E-Mails

Das Landgericht Köln hatte sich vor 14 Tagen mit der im Usenet regelmäßig auftauchenden - und ebenso regelmäßig dann zuvörderst von Ralph Babel mit Verweis auf die Leserbrief-Entscheidung des BGH vom 25.05.1954 (BHGZ 13, 334) beantworteten - Frage nach der Zulässigkeit der Veröffentlichung fremder E-Mails zu beschäftigen und hat in einer wenig überraschenden und nur aufgrund der m. E. bestenfalls verwirrenden Berichterstattung u.a. bei Heise teilweise kontrovers diskutierten Entscheidung (28 O 178/06 vom 06.09.2006), deren Inhalt bei der Kanzlei Dr. Bahr abrufbar ist, die Unzulässigkeit der Veröffentlichung im konkreten Fall bestätigt.

Dem Fall lag zugrunde die Veröffentlichung zweier vertraulicher E-Mails, die - offenbar - ein Aufsichtsratsmitglied einer Aktiengesellschaft in deren Angelegnheiten versandte, auf einer Webseite, die sich - mutmaßlich kritisch - mit dieser Aktiengesellschaft beschäftigte. Wie die E-Mails nach dort gelangten, ist unklar, mutmaßlich wurden sie jedoch von einem Rechner entwendet.

Der Absender der E-Mails verlangte unter Berufung auf sein allgemeines Persönlichkeitsrecht, die E-Mails nicht mehr öffentlich zugänglich zu machen, Schadensersatz zu leisten und zur Bestimmung des Schadensersatzanspruches der Höhe nach Auskunft über die Abrufzahlen der entsprechenden Seite zu erteilen. Der beklagte Veröffentlicher hielt dagegen, die E-Mails seien mit dem Absenden aus der Privatsphäre und dem persönlichen Geheimbereich des Absenders in den allgemeinen Bereich gelangt, so dass eine gravierende Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht vorliege; darüber hinaus diene die Veröffentlichung dem legitimen Informations- und Schutzinteresse der von dem Handeln der AG und des Klägers betroffenen Nutzer der Webseite.

Eigentlich bringt die Entscheidung nicht viel neues.

Die 28. Zivilkammer ordnet zunächst die als vertraulich gekennzeichneten E-Mails wie persönliche Briefe und persönliche Aufzeichnungen, auch solche zu beruflichen und geschäftlichen Fragen und Entscheidungen, der Geheimsphäre des Absenders zu, deren Kundgabe für die Öffentlichkeit nicht beabsichtigt sei und daher einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers darstelle.

Die Kammer wägt dann die widerstreitenden Interessen der Parteien ab und berücksichtigt zunächst zugunsten des Beklagten, dass dieser die Aufklärung der Allgemeinheit über bestimmte Sachverhalte bezweckte. Zugunsten des Klägers berücksichtigt sie, dass die Veröffentlichung von vertraulichen geschäftlichen E-Mails einen weit schwerer wiegenden Eingriff darstellt als die bloße Wiedergabe des Inhaltes, dass das Geheimhaltungsinteresse des Klägers am Inhalt der E-Mails und in einem Falle auch am Betreff deutlich erkennbar war und daß die E-Mails jedenfalls auf unlauterer Weise beschafft waren, also nicht durch den Empfänger (oder mit dessen Einverständnis) veröffentlicht wurden. Auf der Basis dieser Abwägung erkennt sie ein Überwiegen der Geheimhaltungsinteressen des Klägers.

Soweit also nichts überraschendes. Zu erörtern wäre nur noch der in der Berichterstattung herausgehobene und teilweise geradezu als (tragende) Begründung dargestellte Teil der Urteilsgründe, in dem sich die Kammer mit der Einlassung des Beklagten auseinandersetzt, mit dem Absenden der E-Mail habe sich der Kläger dieser sozusagen entäußert und sie aus seiner Geheimsphäre in den allgemeinen Raum, also sozusagen in die Öffentlichkeit, entlassen. Dem hält sie entgegen, daß eine an einzelne Personen - nicht an die Öffentlichkeit oder eine große, nicht abgegrenzte Personengruppe - versandte E-Mail einen Brief gleichstehe, der gleichfalls nur für den oder die Adressaten bestimmt und mit dessen Kenntnisnahme durch Dritte der Absender ebensowenig wie bei einer E-Mail rechnen müsse; im Gegensatz beispielsweise zu einer Postkarte. Von dieser - richtigen - Einordnung ausgehend wendet die Kammer in der Folge dann die für Briefe entwickelten Grundsätze der Rechtsprechung und Rechtslehre auf den Fall an.

Wer hier meint, mit dem bekannten Verweis auf die Sicherheit einer unverschlüsselten E-Mail, die nichts anderes als eine Postkarte sei, einmal mehr auf die technisch unbedarften Juristen einschlagen zu können, übersieht dabei, daß es nicht allein auf die technische Möglichkeit der Kenntnisnahme ankommt, sondern auch auf das rechtliche Dürfen und die Erwartungen des Absenders!

Insofern stehen sich bei genauer Betrachtung E-Mail und Brief eben doch nahe: Der verschlossene Brief wird auf dem Versandweg durch das strafbewehrte Postgeheimnis geschützt, das jedem Postangehörigen die Kenntnisnahme des Inhaltes verbietet, und ergänzend gegenüber jedem durch das Briefgeheimnis, daß das unbefugte Öffnen und die unbefugte Kenntnisnahme ohne Öffnen des Briefumschlages mit Strafe bedroht. Auch das ist aber eine mehr rechtliche als faktische Hürde; wie wir aus Detektiv- und Agentengeschichten wissen, ist es keine Raketenwissenschaft, sondern vielmehr eine vergleichsweise leichte Übung, Briefe (bspw. über Wasserdampf) zerstörungsfrei zu öffnen oder eben einfach aufzureißen - dann ist die Öffnung zwar erkennbar, gegen unbefugte Kenntnisnahme wirksam geschützt, wie es eine verschlüsselte E-Mail ist, die man nicht nur nicht lesen darf, sondern erst gar nicht lesen kann, ist der Brief dadurch aber gerade nicht. Die E-Mail wird auf dem Versandweg gleichfalls durch das Fernmeldegeheimnis und dadurch ebenso viel oder wenig wie der Brief durch das Postgeheimnis geschützt, das zukünftig durch § 202b StGB-Entwurf im Rahmen des Strafrechtsänderungsgesetzes zur Bekämpfung der Computerkriminalität, von dem ich bereits berichtete, ergänzt werden soll. Der entscheidende Schutz, auf den sich der Absender auch verläßt, ist in beiden Fällen (bei der E-Mail und beim Brief) ein rechtlicher solcher, nicht etwa die dünne Papierhülle als materiell-technische "Schutzmaßnahme".

Darüber hinaus übersieht der reflexhafte Rekurs auf den (insofern nur hinkenden) Vergleich der E-Mail mit der Postkarte, daß es für den Schutz eines Briefes oder einer E-Mail gegen ungewollte Veröffentlichung weder eines technischen noch eines strafrechtlichen Schutzes zwingend bedarf; denn der geöffnete Brief und die beim Empfänger vorliegende (vielleicht sogar entschlüsselte) E-Mail - und um zwei solche ging es hier ja offfenbar - genießen (grundsätzlich) keinen strafrechtlichen Schutz mehr. Dennoch kann ihre Veröffentlichung gegen den Willen des Absenders dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht verletzen, sogar wenn der Adressat die Veröffentlichung vornimmt, wie der BGH in seiner schon genannten Leserbrief-Entscheidung festgehalten hat. Entscheidend ist nämlich insoweit, womit der Absender rechnen mußte und ob er den Brief (oder die E-Mail) sozusagen wissentlich oder gar absichtlich aus seiner Geheimsphäre entlassen hat: ein als "vertraulich" gekennzeichnetes Schreiben, das (mit Billigung des Absenders) am Schwarzen Brett zum Aushang kommt oder als Rundbrief versandt wird, kann natürlich keinen solchen Schutz mehr genießen.

Festzuhalten bleibt aber: nur weil man unverschlüsselte E-Mails (technisch) lesen kann, darf man es deshalb (rechtlich) noch lange nicht, und deshalb muß der Absender einer solchen unverschlüsselten E-Mail auch nicht damit rechnen, daß sie in die Hände Unbefugter gelangt, nicht mehr jedenfalls, als er damit rechnen muß, daß sein Postverkehr abgefangen und sein Telefonanspruch abgehört wird.

Das Urteil des LG Köln ist also nicht etwa dumm; die Kammer hat im Gegenteil die wesentlichen Punkte richtig erkannt und korrekt - und in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung und Lehre - gewürdigt. Ich halte das Urteil im übrigen (soweit sich das aus der dürren Wiedergabe der Umstände ohne Kenntnis des Lebenssachverhaltes beurteilen läßt) auch im Ergebnis für richtig.

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Kommentare

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Florian Laws am :

Florian Laws

Danke für diesen Artikel. Was ich aber noch nicht ganz verstanden habe, und oft auch Hintergrund der Fragen im Usenet ist: Wie verhält es sich, wenn es der Empfänger ist, der die Mail gegen den Willen des Absenders veröffentlicht?

Felix am :

Felix

Ergänzung: Ein Standardvorgang ist, daß der Empfänger die Mail zzgl. seiner Antwort an weitere Empfänger gibt ohne vorherige Rücksprache. Unhöflich ist das allemal, aber ist es illegal?

Thomas Hochstein am :

Thomas Hochstein

Das ist genauso Abwägungsfrage. Je größer das Interesse des Absenders an der Vertraulichkeit des Inhaltes ist und je geringer das Interesse des Adressaten an der Veröffentlichung, desto eher wird eine solche unzulässig sein; die Leserbrief-Entscheidung des BGH läßt vermuten, daß eine Veröffentlichung im Zweifel unzulässig ist.

Bspw. wird man mit der Veröffentlichung der Liebesbriefe des Ex-Partners nach der Trennung eher wenig Glück haben; die Veröffentlichung einer Schreibens mit wüsten Beleidigungen oder im Zusammenhang mit einer öffentlichen Auseinanderserzung mag eher erlaubt sein.

Im Zweifel ist eine Paraphrase die bessere Lösung.

Thomas Hochstein am :

Thomas Hochstein

Auch das hängt vom Inhalt, vom Verhältnis der beiden zueinander und den weiteren, "weitergereichten" Empfängern und sicherlich auch von der Größe des Empfängerkreises ab. Je intimer oder vertraulicher der Inhalt und je größer und unbestimmter der Empfängerkreis (und je weniger es berechtigte Belange gibt, die eine Weiterleitung begründen), desto problematischer, würde ich meinen.

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