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Durchgestrichene Hakenkreuze

Mit Urteil vom 29.09.2006 hat die als Staatsschutzkammer im Sinne von § 74a Abs. 1 GVG zuständige 18. Große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart einen Versandhändler, der Devolutionalien der Punk-Szene, namentlich auch diverse durchgestrichene oder in anderer Weise modifizierte Hakenkreuze, vertreibt, wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer - aufgrund der Höhe nicht im polizeilichen Führungszeugnis zu vermerkenden - Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Diese Entscheidung hat ein bemerkenswertes, aber meist nicht von besonderer Kenntnis der - insbesonderen rechtlichen - Sachlage getrübtes Medienecho nach sich gezogen.

Das gibt Anlaß, diesen Vorgang einmal aus - in erster Linie, aber nicht nur - rechtlicher Sicht näher zu betrachten, was zu dem Ergebnis führt, daß das Urteil der Rechtslage entspricht und insofern richtig ist. (Das bedeutet nicht, daß diese Auslegung zwingend sei und ein anderes Ergebnis nicht gleichfalls vertretbar wäre.)

1. Der Sachverhalt

Der Angeklagte betreibt einen Versandhandel mit diversen Tonträgern, Plakaten, Aufnähern usw., die inhaltlich der linken Punkszene zuzurechnen sind. Dazu gehören auch diverse Motive mit durchgestrichenen Hakenkreuzen, Hakenkreuzen, die von einer Faust zerschmettert werden, Hakenkreuzen, die in den Mülleimer geworfen werden, usw. usf. Mit dieser Symbolik soll die Ablehnung des Nationalsozialismus und von Neonazis ausgedrückt werden.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat nach Durchsuchungsmaßnahmen eine Vielzahl von Artikeln und Katalogen beschlagnahmen lassen und sodann Anklage zum Landgericht erhoben, dies ersichtlich auch, um eine höchstrichterliche Entscheidung der streitigen Frage zu ermgöglichen. Das Landgericht Stuttgart hat in früheren Jahren in mehreren Beschwerdeentscheidungen die rechtliche Beurteilung der Staatsanwaltschaft bestätigt. In diesem Fall hat die Strafkammer jedoch zunächst die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt; erst auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht Stuttgart das Hauptverfahren vor dem Landgericht eröffnet (Beschluß vom 18. Mai 2006, 1 Ws 120/06). Daraufhin erging dann - unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des OLG - das jetzige landgerichtliche Urteil, das durch den Angeklagten mit der Revision zum BGH angegriffen wird.

2. Die Rechtslage

§ 86a StGB bedroht es mit Strafe, im Inland Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Parteien, namentlich nationalsozialistischer solcher, zu verbreiten; das Hakenkreuz gehört unstreitig zu diesen verbotenen Kennzeichen. Im Gegensatz zu der oft publizierten Annahme, diese Vorschrift habe - nur - den Zweck, es Befürwortern des Nationalsozialismus zu verbieten, sich mit diesen Kennzeichen zu "schmücken", geht der Normzweck - nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, die im wesentlichen anläßlich einer Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts auch das Bundesverfassungsgericht abgesegnet hat - deutlich weiter: es sollen grundsätzlich Symbole wie Hakenkreuz und Hitlergruß aus dem politischen Leben der Bundesrepublik Deutschland verbannt werden, um zu verhindern, daß diese Symbole wieder "salonfähig" werden: "Die Vorschrift dient auch der Wahrung des politischen Friedens dadurch, daß jeglicher Anschein einer solchen Wiederbelebung sowie der Eindruck bei inländischen und ausländischen Beobachtern des politischen Geschehens vermieden wird, es gebe eine rechtsstaatswidrige innenpolitische Entwicklung, die dadurch gekennzeichnet sei, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen der durch das Kennzeichen angezeigten Richtung geduldet würden." (BGH, Urteil vom 18.10.1972, 3 StR 1/71 I). So ist auch eine wertneutrale öffentliche Verwendung des Hakenkreuzes, beispielsweise auf Modellflugzeugen aus der Zeit des 2. Weltkriegs , verboten und strafbar (BGH, Urteil vom 25.04.1979, 3 StR 89/79). In keinem Fall kommt es ausschlaggebend auf eine Bewertung der Gesinnung des Verwenders an; § 86a StGB ist kein Gesinnungsstrafrecht.

Der Anwendungsbereich des § 86a StGB ist jedoch in zweierlei Hinsicht eingeschränkt: einmal durch die sog. Sozialadäquanzklausel des § 86a Abs. 3 StGB, die auf § 86 Abs. 3 StGB verweist, und zum anderen durch eine einschränkende Auslegung des Tatbestandes in der Rechtsprechung des BGH, nach der eine eindeutig den Schutzbereich der Norm nicht verletzende Kennzeichenverwendung nicht tatbestandsmäßig ist. Die Sozialadäquanzklausel stellt die Verwendung von Kennzeichen dann von dem Verbot frei, wenn sie "der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient" (§ 86 Abs. 3 StGB). Die einschränkende Auslegung des BGH stellt darauf ab, ob sich aus der konkreten Kennzeichenverwendung ergibt, dass diese gerade einer Distanzierung vom Nationalsozialismus dient und "die Kennzeichen nur kurz in das äußere Erscheinungsbild traten", so daß "damit eine Nachwirkung auf Dritte in einer dem Symbolgehalt dieser Kennzeichen entsprechenden Richtung von vornherein ausgeschlossen war". Das gilt jedoch nicht, wenn "zur Tatzeit […] bei öffentlichen Demonstrationen NS-Kennzeichen in einer Häufung verwendet worden wären, die den Schluß rechtfertigte, die Verwendung dieser Kennzeichen in der Öffentlichkeit habe - dem Schutzzweck des § 86 a StGB zuwider - gedroht, sich wieder einzubürgern". Der Entscheidung liegt die Darbietung des Hitlergrußes durch einen Angehörigen der linken Szene gegenüber Polizeibeamten nach polizeilichen Maßnahmen gegen eine linksgerichtet Demonstration in Berlin zugrunde, wobei jedenfalls nicht auszuschließen war, daß der Angeklagte durch den Hitlergruß die polizeilichen Maßnahmen als faschistisch brandmarken wollte. Hingegen hat das Bayerische Oberste Landesgericht eine Verurteilung wegen eines vergleichbaren Geschehens - Hitlergruß gegenüber Polizeibeamten, die ersichtlich pflichtgemäß einen Platzverweis aussprachen - aufrechterhalten (Beschluß vom 14.10.2002, 5 St RR 286/02), was das Verfassungsgericht (wie schon ausgeführt) als verfassungsgemäß anerkannt hat (BVerfG, 1. Kammer des 1. Senats, Nichtannahmebeschluß vom 23.03.2006, 1 BvR 204/03).

3. Die rechtliche Beurteilung

Unter Zugrundelegung dieser rechtlichen Erwägungen ist meines Erachtens die Verurteilung nicht zu beanstanden.

Das Hakenkreuz ist - auch in durchgestrichener oder sonstwie veränderter Form - ein verbotenes Kennzeichen; das ist schon im Hinblick auf Strafbarkeitslücken unstreitig und ergibt sich auch aus § 86 Abs. 2 S. 2 StGB.

Die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3 StGB greift nicht ein. Der kommerzielle, gewinnorientierte Vertrieb von durchgestrichenen Hakenkreuzen dient weder der Kunst oder der Wissenschaft, noch der Forschung oder der Lehre, noch der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte. Wer solche Embleme verkauft - oder trägt -, dient auch nicht der staatsbürgerlichen Aufklärung. Die Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen wiederum ist staatliche (!) Aufgabe; insoweit greift nach h.M. der Rechtfertigungsgrund also nur für Beschäftigte staatlicher Stellen ein. Gleiches gilt im übrigen auch für das Tragen der Embleme.

Demnach kann sich nur die Frage stellen, ob die gebotene einschränkende Auslegung des Tatbestandes nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung dazu führt, den Vertrieb der genannten Kennzeichen als erlaubt anzusehen. Zunächst liegt es natürlich instinktiv nahe, dies zu bejahen - wie soll der Vertrieb von Kennzeichen, die gerade die Ablehnung der nationalsozialistischen Ideologie symbolisieren lassen, durch einen überzeugten Linksaktivisten primär an Gleichgesinnte nicht als eindeutige Distanzierung von der Unterstützung des Nationalsozialismus anzusehen sein? Bei dieser Überlegung darf man allerdings nicht stehenbleiben, wie dies in der öffentlichen Diskussion und Berichterstattung leider fast immer erfolgt. Auszugehen ist nämlich vom Schutzzweck der Norm. Und hier ist zu konstatieren, daß der massenhafte Vertrieb - und wohl auch das Tragen - dieser ein Hakenkreuz enthaltenden Embleme durchaus dem Zweck widerspricht, dieses Symbol aus dem politischen Leben zu verbannen, die Wiederverwendung durch Befürworter des Nationalsozialismus unmöglich zu machen und auch ggü. ausländischen Beobachtern nicht den Eindruck zu erwecken, Hakenkreuze seien in Deutschland wieder salonfähig.

Bereits die massenhafte Verwendung des Symbols - gerade bspw. bei Demonstrationen - ist eine vom BGH selbst in seiner einschlägigen Entscheidung genannte Verwendungsweise, die befürchten läßt, daß das Hakenkreuz - in Abwandlungen - wieder salonfähig wird. Zudem steht zu befürchten, daß diese Möglichkeit, "Flagge zu zeigen", von Neonazis begierig aufgegriffen wird. Das Motiv des Hakenkreuzes im Mülleimer bzw. auf dem Weg dorthin läßt beispielsweise durchaus - ggf. bei leicht anderer zeichnerischer Gestaltung - auch eine umgekehrte Deutung zu, nämlich daß das Hakenkreuz aus dem Mülleimer wieder herausgeholt wird, im Sinne von "Wir sind (nicht im Mülleimer der Geschichte, sondern) wieder da!". Zudem läßt sich auch ein durchgestrichenes Hakenkreuz so gestalten, daß es nicht direkt als solches zu erkennen ist, sondern zunächst nur das Hakenkreuz als solches erkennbar wird. (Nachtrag: Ein Beispiel aus der Realität hat sich dafür inzwischen - ungewollt - bereits in Form eines Pressefotos ergeben, auf dem ein dem NSDAP-Parteiabzeichen nachgebildetes, durchgestrichenes Hakenkreuz am Revers eines Gewerkschaftsfunktionärs bedauerlicherweise nicht als durchgestrichen zu erkennen ist, sondern eben genau wie ein NSDAP-Parteiabzeichen wirkt.) Solche Verwechslungen lassen zudem befüchten, daß im Ausland der Eindruck des Hakenkreuzes als eines hier in Deutschland wieder salonfähigen und im politischen Meinungskampf geduldeten Emblems entsteht.

Demgegenüber muß die Meinungsfreiheit des Angeklagten zurückstehen. Das ist insbesonere deshalb zu verschmerzen, weil es hinreichend andere Möglichkeiten gibt, die Distanzierung von der NS-Ideologie in der Öffentlichkeit wahrnehmbar und symbolhaft zu vertreten.

4. Außerrechtliche Erwägungen

Jenseits rechtlicher Erwägungen sollte dabei nicht vergessen werden, daß es hier nicht - nur - um das Eintreten aufrechter Demokraten für unsere Verfassung geht. Zum einen haben eben diese nämlich wie schon ausgeführt die Möglichkeit, sich anderer Symbole zu bedienen, insbesondere nämlich nicht eine andere Anschauung bloß negierender, sondern positiv besetzter Symbole wie bspw. der Farben und Embleme unseres freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates.

Zum anderen ist es wohl kein Zufall, daß dies insbesondere für die von der Entscheidung in erster Linie betroffenen Kreise nicht in Betracht kommt; denn daß sie sich entschieden gegen Neonazis verwehren (und nicht selten unverhüllt zur Gewalt gegen diese aufrufen und auch zur Tat schreiten, wobei der Kreis derjenigen, die als "Faschosau" einzustufen und zum Objekt "antifaschistisher" Aktionen zu machen sind, manchmal recht weit gezogen wird und problemlos auch studentische Verbindungen aller Art, sonstige Andersdenkende oder "Bullenschweine" und anderer Repräsentanten staatlicher Gewalt umfaßt), ist allzuoft nicht Ausdruck eines entschiedenen Eintretens für die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, sondern bloßer Reflex des - gewaltsamen - Kampfes gegen den politischen Gegner, zu dem nicht selten auch eben diese freiheitliche-demokratische Grundordnung und deren Repräsentanten gehören. Das macht übrigens bereits die Auswahl sonstiger Angebote im besagten Onlineshop ("Burn the rich", "Feuer und Flamme für jeden Staat", usw.) deutlich.

Das kann und darf für die Entscheidung der vorliegenden Rechtssache keine Rolle spielen, gehört aber durchaus in die Gesamtabwägung eingestellt.

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